Lidy Mouw

Die in Amsterdam, Berlin und Mülheim a.d.R. lebende und arbeitende Tänzerin und Choreografin Lidy Mouw ist seit 2001 Dozentin für den Bereich "Tanztheater"

Liebe Lidy, du bist seit über zehn Jahren für das Off-Theater nrw tätig. Was macht die Arbeit als Dozentin an unserer Akademie für dich so interessant?

Ich habe enormen Respekt vor den Pädagogen/innen und Sozialarbeitern/innen, die mit ihrer ganzen Energie jeden Tag aufs Neue Kindern, Jugendlichen und Menschen anderer Altersgruppen zu neuen Erfahrungen verhelfen. Diese Berufsgruppen sind in den Fortbildungen beim Off-Theater stark vertreten. Sie vermitteln mir, was im (bildungs-) institutionellen Alltag passiert, und das ist sehr wichtig für mich. Ich finde hier eine Verbindung zur realen Arbeitswelt der Theater- und Tanzpädagogen. Diese ist Ausgangpunkt für die Didaktik in meinen Kursen und die heterogene Zusammenstellung der Gruppen ist ein großer Vorteil. Die Menschen, denen ich in den Kursen begegne, bringen ein großes künstlerisches Engagement mit. Ihre fantastische Kreativität überrascht mich immer aufs Neue und sie selbst auch. Wir erleben sehr intensive künstlerische Prozesse und hochwertige Momente der Performance. In meiner Vermittlungsarbeit des Tanztheaters, aber auch beim Einsatz anderer Formen der Kreativität, der Darstellung (wie zum Beispiel Bewegtes Bild, Ton, Objekt oder das Spiel mit dem öffentlichen Raum), möchte ich gerne, dass die Teilnehmenden direkt mit dem Stoff starten können. Ich will Mut machen zu authentischem künstlerischen Handeln.

 

Welche Entwicklungen und Veränderungen hast du bei den Teilnehmenden wahrgenommen?

Kamen die Teilnehmer/innen anfangs vielfach aus dem Bereich des Tanztheaters selbst, ist jetzt der Bereich des Streetdance- und auch der des Gesundheitssektors viel häufiger vertreten. Der zeitgenössische Tanz hat ein massives Vermittlungsproblem. Beim letzten Kurs hatte keine der Teilnehmerinnen gute Erfahrungen mit dem Tanztheater gemacht. Alle hatten ganz sonderbare Vorstellungen davon, was dieses Tanztheater sein könnte. Umso größer war für mich die Herausforderung. Ich habe mich ziemlich gefreut, als nach den zwei Tagen einige nach mehr Tanztheater geschrien haben und viele die Methodik in ihren Gruppen ausprobieren wollten.

Du arbeitest sowohl mit den Teilnehmer/innen unserer theaterpädagogischen Fortbildungsgänge als auch mit unseren Tanzpädagogik-Gruppen. Inwieweit unterscheidet sich hierbei deine Arbeitsweise? L

Meine Methodik kann immer zum Einsatz kommen. Niemand muss Vorkenntnisse haben, die Vermittler und Pädagogen nicht und die Teilnehmenden in ihren Gruppen auch nicht. Allerdings geht an mich als Pädagogin natürlich auch der Auftrag, meine Vermittlung den Teilnehmenden anzupassen. Hierbei spielen aber eher der Sprachgebrauch und das Abfragen der Vorkenntnisse und Arbeitsbereiche eine Rolle. Ansonsten bleibt der Ablauf gleich. Gerade durch den niederschwelligen Ansatz gewinne ich das Interesse der Teilnehmenden und sie das ihrer Gruppe.

Stichwort „Entwicklung von Bildungsprozessen“. Sie sind seit längerer Zeit schon Teil deines beruflichen Engagements. Inwieweit kommt hier der Tanz zum Tragen?

Dass die künstlerische Komponente der kognitiven Entwicklung, sei es durch Tanz, Theater, Kunst oder Literatur, bei vielen bestehenden Bildungsprozessen immer noch zu kurz kommt, oder ihr sogar entgegen gewirkt wird, ist allen, die sich in diesem Felde bewegen unverständlich. Der natürliche Drang zur Weiterentwicklung (Innovation) und der kindliche Wunsch der Kreation und des Spiels (und somit der Selbstinitiative und Flexibilität) müssen früh selbstverständlich werden. Sonst verkümmern sie in der stupiden Hierarchie der Leistung und dann im Mittelmaß. Häufig verschwindet damit die Fähigkeit zum Ausdruck und zur Kommunikation und damit die Lust am eigenen Ausdruck. Um dem vorzubeugen, wären die Förderung von kultureller Bildung im Allgemeinen und speziell die Verankerung von Tanz und Theater im regulären Bildungskanon wichtige Instrumente. “Bewegung macht schlau” war vor einigen Monaten eine Nachricht, die um die Welt ging. Die Bewegungsforscherin Amika Singh hat 27 Studien verglichen mit dem Ergebnis, dass diese These zutrifft. Auch in der aktuellen Hirnforschung kommt die Wissenschaft den positiven Auswirkungen von Bewegung und Tanz auf die kognitive Entwicklung auf die Spur. Durch Bewegung und Tanz entsteht eine höhere Zufuhr von Sauerstoff im Gehirn und dies vereinfacht die Bildung von neuen Synapsen. Die Neugierde treibt Babys dazu, mobil zu werden. Sie drehen sich vom Bauch auf den Rücken, stehen auf und lernen laufen, weil sie ihre Erfahrungswelt erweitern wollen. Dieser wichtige Motor von Weiterentwicklung sollte nicht gestoppt werden. Durch den Einsatz von authentischer Bewegung, Musik, Spiel und Tanz im Klassenzimmer kann die Wahrnehmung des sich fortwährend verändernden eigenen Körpers im zeitlichen und räumlichen Kontext geschärft und folglich die Erfahrungslust am Neuen gewährleistet werden.